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Warum das tschechische Impfpflicht-Urteil den COVID-Impfzwang nicht rechtfertigen kann

Verfassungsrechtler Michael Geistlinger weist in seinem Gutachten detailliert nach, dass dieses Urteil und das Vorhaben der Bundesregierung zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind.

Die österreichische Bundesregierung rechtfertigt die Einführung einer COVID-Impfpflicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Vavřička und andere gegen die Tschechische Republik. Dieses ist im April 2021 ergangen. Der Verfassungs- und Völkerrechtler Michael Geistlinger weist in seinem Gutachten „Völker-, europa- und verfassungsrechtliche Fragen in Zusammenhang mit der Einführung einer Covid-19 Impfpflicht in Österreich“ für den Freiheitlichen Parlamentsklub (Link nach Upload!) allerdings detailliert nach, dass dieses Urteil und das Vorhaben der Bundesregierung zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind.

Zahlreiche Menschenrechtsverstöße behauptet

In diesem Fall, den unterschiedliche Beschwerdeführer vor den EGMR getragen hatten, beschäftigte sich der Gerichtshof mit der Einführung der Impfpflicht in Tschechien in Bezug auf bis zu 9 Krankheiten, darunter Kinderlähmung, Hepatitis B und Tetanus, Masern, Mumps und Röteln. Die Beschwerdeführer behaupteten, die Impfpflicht verstoße gegen mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), darunter Art 9 (Recht auf Gewissensfreiheit), Art 2 (Recht auf Leben), Art 6 (faires Verfahren), Art 13 (Wirksames Rechtsmittel) und Art 14 (Diskriminierungsverbot). Der EGMR wies diese Beschwerden jedoch ab.

Der EGMR stützt sich in seinem Urteil auf zahlreiche Dokumente, etwa auf einen zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufenen „Globalen Impfaktionsplan“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO), auf die „Europäische Sozialcharta“, auf Resolutionen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, den „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ und die „EU-Grundrechtecharta“. All diese Regelwerke weisen generell auf die Bedeutung von Impfungen bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten hin und betonen das Recht der Bürger, auf Zugang zu bestmöglichem Gesundheitsschutz.

EGMR hat internationale Dokumente überbewertet

Allerdings, so konstatiert Michael Geistlinger, wurde diesen Dokumenten durch den EGMR bereits bei der Prüfung der tschechischen Impfpflicht ein zu hohes Gewicht eingeräumt:

Keines der vom EGMR angezogenen völker- und europarechtlichen Dokumente bietet eine Rechtsgrundlage für die Einführung einer Impfpflicht. Der EGMR verwendet die Dokumente als Hilfsmittel zur Ableitung einer Solidaritätspflicht. Aber auch das übersteigt den normativen Gehalt, den die Dokumente bieten, bei Weitem. Für die Zwecke der Begründung der Menschenrechtskonformität der Einführung einer Impfpflicht in Bezug auf die am meisten verbreiteten ansteckenden Kinderkrankheiten eignet sich keiner der Verträge. Ihre Anführung im Urteil Vavřička kann daher nur als Staffage bezeichnet werden. In Bezug auf die Einführung einer Covid-19 Impfpflicht in Österreich sind alle vom EGMR wiedergegebenen Ausschnitte dieser Dokumente bedeutungslos.

Scharfe Kritik eines beteiligten Richters

Michael Geistlingers Zweifel an einer korrekten Sachverhaltsfeststellung durch den EGMR im Fall Vavřička werden durch eine abweichende Stellungnahme genährt, die einer der beteiligten Richter – der Pole Wojtyczek – abgegeben hat. Er zeigt, so Geistlinger, auf, „dass weder die Parteien noch der EGMR über eigenen Antrieb die Beweise erhoben haben, die es zur Beurteilung, ob der Eingriff in das Recht auf Privatleben durch die Verhängung einer Impfpflicht gerechtfertigt ist, gegeben hätte. Der EGMR hat entsprechend den Ausführungen von Richter Wojtyczek das Prinzip der materiellen Wahrheit verletzt.“

Die Aussagekraft des Urteils sei wegen dieses Mangels „grundlegend beeinträchtigt“, seine Übertragbarkeit auf das österreichische Gesetzesvorhaben einer COVID-Impfpflicht „grundsätzlich in Zweifel zu ziehen“.

EGMR vertraute tschechischen „Experten“ blind

Einen weiteren schweren Mangel in der Beweiswürdigung des EGMR ortet Michael Geistlinger darin, dass das Richtergremium den vom tschechischen Staat vorgelegten Expertenmeinungen offenbar blind vertraute, indem er aus diesen den Schluss zog, dass „in der Tschechischen Republik die Impfpflicht die Antwort der heimischen Behörden auf das dringende gesellschaftliche Bedürfnis ist, die individuelle und öffentliche Gesundheit vor den in Frage stehenden Krankheiten zu schützen und gegen den Abwärtstrend in der Impfrate bei Kindern zu behüten.“ Dabei ignorierte der EGMR den Umstand, dass dieser Gesundheitsschutz auch ohne Impfpflicht zu erreichen ist, wie viele andere Länder beweisen. Geistlinger dazu:

Der EGMR versuchte erst gar nicht herauszufinden, ob es ein weniger einschränkendes (gelinderes) Mittel gegeben hätte, als die Impfpflicht einzuführen, um das Eingriffsziel zu erreichen. Der Umstand, dass es so viele Staaten gibt, die das Ziel ohne Impfpflicht erreichen, wäre ein starkes Indiz dafür, dass es weniger einschränkende Alternativen als die Impfpflicht gibt.

Geistlinger: Urteil bietet für Regierung keine Sicherheit

Ungeachtet dieser Schwächen wurde das tschechische EGMR-Urteil von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler bereits mehrfach als Rechtfertigung für die COVID-Impfpflicht in Österreich präsentiert. Edtstadler verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Zulässigkeit der Impfpflicht sei ausjudiziert. Heistlinger widerspricht dieser Ansicht vehement und kritisiert die Heranziehung des Urteils Vavřička zur Begründung des Gesetzesantrags:

Der Entwurf des COVID-19-IG setzt sich so der Schwäche aus, sich auf ein Urteil zu einem Sachverhalt zu berufen, der mangelhaft und damit irreführend erhoben worden ist. Zudem hat der EGMR die Verhältnismäßigkeitsprüfung in mehrfacher Weise unvollständig und in ungerechtfertigter Abkehr von seiner ständigen Rechtsprechung angewandt. Das Urteil bietet daher keine Sicherheit, dass eine andere (Große) Kammer nicht zu einer entgegengesetzten Entscheidung gelangt.

Doch selbst wenn das Urteil frei von den geschilderten Mängeln wäre, würde es für die Rechtfertigung des COVID-Impfzwangs nicht taugen. Dazu lesen Sie mehr im folgenden Artikel:

Warum der Corona-Impfzwang nicht mit einer Impfpflicht gegen traditionelle Krankheiten vergleichbar ist

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